Ich habe einen Traum…

 

Ötztaler Radmarathon 238 Kilometer, 5500 Höhenmeter, 18 % maximale Steigung

                                    1759 Höhenmeter in einem Stück, 4300 Teilnehmer

 

Streckenführung: Sölden – Ötz – Kühtai (1200 hm) – Innsbruck – Brenner (777hm) – Sterzing – Jaufenpass (1130 hm) – St. Leonhard – Timmelsjoch (1759 hm) – Hochgurgl  (220hm).

Es ist Frühjahr 2008 und in einem Anflug von Traum kommt die Idee, dieses Jahr ist keine Fernfahrt, da muss es etwas anderes sein, vielleicht der südtiroler Dolomiti, gut aber leider ausverkauft, was bleibt – ist ein Traum – oder doch Alptraum?

Nun gut, es lassen sich einige begeistern und schon ist es geschehen, die Gruppenanmeldung zum Ötztaler Radmarathon, dem wohl schwierigsten Radmarathon für Amateure, zumindest ist dies die Meinung derjenigen, welche bereits gestartet sind.

Gerhard Mathy, Franz Jammernegg, Reinhard Krampl, Petra Neuhold und ich (Bernd Mathy) melden sich offiziell zum Radmarathon an (Peter Neuhold fährt ohne Anmeldung als Betreuer von Petra). Wir haben Glück, alle unsere Anmeldungen werden angenommen, dies ist echtes Glück, schließlich wollen über 14000 Teilnehmer den Ötztaler fahren. Aus Sicherheitsgründen werden aber nur 4300 akzeptiert. Von diesen 4300 kommen wiederum nur rund 580 aus Österreich, ein großer Anteil aus Deutschland und Italien.

Von nun an ist es klar, 86 Kilo sind zuviel und 2 x in der Woche trainieren zuwenig, es müssen die Kilos runter und das Training rauf. Die Monate vergehen und der 31.8. kommt immer näher, aber der Aufbau passt, ich bin guter Dinge. Die Mountainbiketour 14 Tage vor der Veranstaltung ist ein guter Test um die Ausdauer zu überprüfen. Siegerzeit wird es keine, aber Durchkommen sollte zu schaffen sein. Auch wenn diese Generalprobe nur gut    60 % der Marathondistanz ausmacht.

Es ist Freitag vor dem Marathon, wir reisen zeitgerecht an um uns noch etwas der Höhenluft anzupassen. Man kann nur jedem empfehlen zeitgerecht anzureisen, der Samstag war optimal um sich vorzubereiten. Vormittags 700 hm nach Hochgurgl um sich einzurollen und am Nachmittag relaxen, etwas schwimmen, vor dem Fernseher ausspannen oder einige fahren mit der Gondel auf die Bergstation in rund 3000 Meter. Bestes Bergwetter und eine Traumaussicht belohnt diejenigen.

Es wird immer angespannter, jedem ist es anzumerken, dass morgen ein ganz besonderer Tag ist, die einen wollen eine Superzeit in ihrer Altersklasse, die anderen haben schlichtweg Respekt vor der Distanz und sind sich letztlich doch nicht sicher ob sie es schaffen werden. Und da ist noch die Wetterprognose, hochsommerliche Hitze mit Gewitter am späten Nachmittag. Dies ist die für mich bedenklichste Geschichte, schließlich kann ich mir sehr sicher sein, dass ich am späten Nachmittag noch am Rad sitze. Folglich die Entscheidung die Goretex-Jacke mitzunehmen nicht so leicht ist.

Schließlich muss ich ohne Betreuung fahren, dass heißt ich muss meine Kohlehydratsackerl in der Trikottasche mitführen, samt Müsliriegel für zumindest 3 Stunden, samt Pumpe für alle Fälle, samt etwas Geld für noch schlimmere Fälle und Handy für den schlimmsten Fall des Besenwagens oder ärgeres.

Die Anprobe des Trikots zeigt nämlich, dass es eng wird, verdammt eng, ich hätt doch XL nehmen sollen, ist mir noch gar nie so sehr aufgefallen, wie jetzt, mit Regenjacke, Riegel, Kohlehydrate, Pumpe, Geldtascherl, … ich glaub das Trikot platzt, ich lass das Geldtascherl im Hotel, brauch ich ohnehin nicht.  Und außerdem im Normalfall ist L groß genug, soll ja nicht flattern.

Die Nacht vorm Marathon ist kurz, Tagwache 4.50 Uhr, Frühstück ab 5 Uhr, geplante Abfahrt zum Start 5.30 um einen der vorderen Plätze zu ergattern (für mich persönlich zwar nicht so wichtig, aber was solls). Tatsächliche Abfahrt zum Start 5.50 Uhr, schließlich sind alle nervös. Es ist stockfinster, besonders mit meiner optischen Sonnenbrille mit 90 % Lichtfilter, aber auch ich komm sicher im Startareal an. So an die 2500 sind etwas früher aufgestanden, nicht gerade dass was wir uns eine Stunde vorher vorgestellt haben. Wir stehen relativ weit hinten. Rund 1 Stunde Smalltalk haben wir noch bevor es los geht, immer sehr lustig, die ganze Warterei, saukalt, jeder nervös, einige riechen ziemlich nach Kampfer und anderen Mittelchen. Jeder beguckt den anderen, wie stark ist der denn? Was hat der drauf? Naja super Rad, alles Record-Ausstattung. Und vor allem ich…über 80 Kilo hat da keiner, alles Berggämsen mit 30 Kilo, naja ein bisserl mehr ist schon, Hintern im Format SLR-Sattel, sicher nicht breiter. Ich glaub ich bin der, naja sagen wir Gesündeste.

Und plötzlich ist es soweit, herausgerissen aus dem Sinnieren, der Helikopter lärmt über unseren Köpfen, die Einsatzfahrzeuge blinken, Hektik macht sich breit.  Es geht los, sehr langsam, noch kein Schuh im Pedal, 2 Minuten später ein Fuss im Pedal, etwas später beide Füsse im Pedal, aber es ist eng. Alle wollen nach vorn, jetzt ist das Rennen zu gewinnen, ich halt mich am linken Außenrand des Pulkes, wenns kracht, ich muss ja nicht unbedingt dabei sein. Es gelingt letztlich ganz gut und der ganze Trott verlässt Sölden.

Mit hohem Tempo, so zwischen 40 und 60 km/h fahren 4300 Teilnehmer rund 500 hm bergab Richtung Ötz, alle kommen leider nicht so weit, kurz vor uns, stürzen an die 20 Radfahrer schwer, die meisten können leider nicht fortsetzen, ja Bergab gewinnt man keine Rennen, da verliert man bestenfalls sein Leben, ganz so schlimm wars zum Glück nicht.

Nach kurzer Zeit erreicht man Ötz und ist froh, dass es nun bergauf geht, zum Einen wird’s wärmer, zum Anderen ist die Sturzgefahr deutlich geringer. Meine Taktik für das Kühtai war drüberrollen, hat sich nicht ganz umsetzen lassen, denn der Pulk hat mich tempomäßig mitgerissen, man könnte auch sagen übermotiviert, und es ist gut gelaufen, der Puls war aber um gute 8 Schläge höher als geplant. Oben angekommen hab ich nur meine Flaschen gefüllt und bin sofort weiter. Die Abfahrt war einfach super, langgezogene schnelle Kurven,   100 kmh sind locker zu schaffen, ich fahr auf Nummer sicher, komm nur auf 89,4 km/h, aber ein Sturz, wieder kurz vor mir bestätigt mir, dass Vorsicht doch besser ist als Nachsicht, oder in diesem Fall Oberhalsschenkelbruch mit Hubschrauberflug (wie ich im Ziel erfahren habe).

In Innsbruck angekommen, hab ich trotz vorsichtiger Abfahrt 200 Plätze gewonnen und fahre mit einem letztlich rund 200 Radfahrer großen Pulk auf den Brenner, leider wieder um gute 10 Schläge über dem geplanten Puls, was solls, vor der geplanten Zeit, dafür aber mit mehr verbrauchter Energie. Am Brenner kehre ich wieder nur kurz ein um meine Reserven aufzufüllen.

Danach geht’s nach Sterzing, wieder bergab, viel zu kurz bergab, denn danach kommt der Jaufenpass. Die 5 ¼ h zu hohe Pulsbelastung macht sich nun bemerkbar, ich muss komplett runterschalten um nicht das Gesamtziel zu vermasseln, nämlich durchzukommen. Selbst mit niedrigstem Tempo auf den Jaufenpass zeigt die Polar 162, nicht gut, gar nicht gut, ich muss mich unter Kontrolle bringen, sonst komm ich nie und nimmer auf das Timmelsjoch.

Ich krebse den Jaufenpass hinauf, einen, nochmals wirklich nur einen hab ich überholt und sicher 400 haben die Gelegenheit genutzt mich zu überholen, da kommen einen Gedanken, ja die 82 Kilo vorm Start sind wirklich viel, für einen Bergmarathon mit 5500 Höhenmeter sowieso, wie schön wären 500 Kilometer, bretteleben, keine Berge, aber egal, jetzt bin ich am Jaufenpass und das beste kommt noch. Wer Schwierigkeiten mit Niederlagen hat, bitte mit 82 Kilo diesen Marathon fahren, da kann man sehr viel lernen. Am Jaufenpass angekommen steig ich schon sehr vorsichtig vom Rad, schließlich machen sich die Muskeln bemerkbar, sprich sie wollen sich etwas verkrampfen.

Ich lieg aber gut in der Zeit, sodass ich mir reichlich Zeit lassen kann, Essen, Trinken, etwas herumspazieren und dann Fahrrad suchen, verdammt wo ist das Fahrrad, da sind eh nur 300 oder 400, alle schwarz, verdammt.

Aber einige Minuten später geht’s schon bergab Richtung St. Leonhard, man könnte auch sagen Richtung Sommer, unten hats 34 Grad, eine Affenhitze, war zwar am Vorabend von einem Trondheim-Oslo Teilnehmer avisiert worden, aber irgendwie ist man trotzdem nicht vorbereitet.

Kaum unten ist eines klar, jetzt kommts, der längste Anstieg meines Lebens, 1759 hm in einem Stück, zu Beginn 34 Grad, optimaler weise scheint die Sonne direkt auf eine schwarze Felswand, in welche die Straße gemeißelt wurde. Es ist heiß, sehr heiß, zu Beginn aber nicht sonderlich steil, sodass ich meinen Gewichtsvorteil ausspielen kann und einige überhole, aber es wird steiler, viel steiler und von Kehre zu Kehre stehen mehr Radfahrer, völlig fertig, wo kommen die alle her? Manche liegen am Asphalt, die Schuhe noch in den Pedalen und können sich  nicht bewegen, mit Krämpfen in den Beinen kommen sie nicht raus. Ich hab genausowenig „Zeit“ wie all die anderen „Kameraden“ welche sich auch nicht um diese hilflosen Biker kümmern. Ich stell fest, dass sich mein Schonprogramm auf den Jaufenpass bezahlt gemacht hat, mein Puls stabilisiert sich wie gewünscht bei max. 154 Schlägen.

Und so geht’s bergauf, endlos bergauf, nach 780 hm kommt endlich die Labesstation, mit meiner Zeit weiß ich, ich hab alle Zeit der Welt um da noch drüber zu kommen. Da noch drüberkommen heißt, ich stehe bei Kilometer 196, oben, oben ist das Timmelsjoch, ist Kilometer 206, mehr als 900 Höhenmeter über mir. Eine Felswand vor mir, die Straße ist reingemeisselt und ich kann sicher 700 Hm einsehen, echt imposant. Jetzt heisst es rechnen, es ist 16 Uhr, letzte Durchgangszeit am Timmelsjoch 19.30. Super, das geht sich aus, selbst für einen schlechten Wanderer, ich kann also, wenn ich will in jeder Kehre Pause machen und es geht sich immer noch aus. Ich habs geschafft, zumindest sollte es sich ausgehen. Also weiter geht’s, voller Optimismus und mit dem Wissen, es kann eigentlich nichts mehr schiefgehen fahr ich auf das Timmelsjoch.

Doch so einfach solls nicht werden, 100 hm vor der Passhöhe, fängt es zu Regnen an, Erinnerungen an den Grossglockner kommen auf. Doch so schlimm sollte es nicht kommen, kurze Zeit später überfahre ich mit dem Wissen es geschafft zu haben das Timmelsjoch. Die Abfahrt ist nur noch vorsichtige Pflicht, jetzt leg ich mich nicht mehr hin.

Um 18.30 wird ein Traum wahr und Sölden erscheint wieder aus den Wolken, bei leichtem Regen durchfahre ich das Ziel.

Es freut mich, daß ich diesen schönen Marathon erleben durfte, mit mir waren auch meine Kollegen Petra Neuhold mit Betreuer Peter Neuhold, Reinhard Krampl, Gerhard Mathy und mit bester Vereinszeit Franz Jammernegg erfolgreiche Teilnehmer des Ötztaler Radmarathons. In der Gruppenwertung wurden wir 101 beste Mannschaft von rund 170.

 

Bernd Mathy

Union Radclub Volksbank Leibnitz 0